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Aus der Bildungspolitik

Austausch für alle - Eine Reise mit Abgeordneten nach Prag

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Informationsreise Prag 2024 „Herz, Hand, Kopf – Internationaler Jugend- und Schüleraustausch als Bildungsstandard“
Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Informationsreise Herz, Hand, Kopf 2024 auf dem Balkon der Deutschen Botschaft Prag

Wie werden Angebote zum internationalen Jugend- und Schüleraustausch zugänglicher? Diese Frage stand im Mittelpunkt der viertägigen Informationsreise deutscher Bildungspolitiker:innen nach Prag. Landtagsabgeordnete aus zehn Bundesländern informierten sich gemeinsam mit der Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Christine Streichert-Clivot, zu Möglichkeiten und Herausforderungen im internationalen Jugend- und Schüleraustausch.

Internationaler Jugend- und Schüleraustausch als Bildungsstandard

Zur Reise eingeladen hatten „Austausch macht Schule“, die gemeinsamen Initiative der bundesweiten Fach- Förderstellen für Internationale Jugendarbeit, und das Deutsche Youth For Understanding Komitee e.V. (YFU). Das Ziel Prag wurde gewählt, weil Schüler- und Jugendgruppen mit Tschechien bereits häufig ein Land in direkter Nachbarschaft Deutschlands ansteuern und bilaterale Förderstrukturen dafür bestehen. Gleichwohl ist ein deutsch-tschechischer Jugendaustausch immer noch nicht selbstverständlich.

Bildungsminister Dr. Mikuláš Bek eröffnet Informationsreise „Herz. Hand, Kopf“ Prag 2024

Zum Auftakt trafen die deutschen Politiker:innen Tschechiens Bildungsminister, Dr. Mikuláš Bek. Er sagte zur Eröffnung:

„Der internationale Jugendaustausch zwischen der Tschechischen Republik und anderen Staaten der Welt ermöglicht es den Jugendlichen, eigene Horizonte zu erweitern. Das betrifft nicht nur das Lernen in Schule und Studium, aber auch das Kennenlernen anderer Kulturen und Menschen. Diese Begegnungen helfen ihnen, die Welt von heute zu verstehen und Vorurteile abzubauen.“

Christine Streichert-Clivot, Bildungsministerin des Saarlandes und aktuelle Präsidentin der Kultusministerkonferenz, ging in ihrem Grußwort auch auf die eigene Herkunft und Austauscherfahrungen aus einer europäischen Grenzregion ein:

Ministerin Christine Streichert-Clivot spricht auf der Informationsreise "Herz. Hand, Kopf" Prag 2024

„Ich stamme aus einem Grenzgebiet. Daher denke ich: Es sollte selbstverständlich sein, die Sprache der unmittelbaren Nachbarn zu lernen. Dafür muss man bei Schülerinnen und Schülern werben. Als Schule muss man ihnen ein Angebot machen. Und wenn man einen internationalen Austausch anbietet, bekommt man sehr viel von den Schülerinnen und Schülern zurück..“

In der folgenden Diskussion ging es um die Wirkungen von Schulaustausch und Jugendbegegnungen sowie den Stellenwert, der ihnen im Bildungssystem eingeräumt wird – nicht nur in den Grenzregionen.

„Schulpartnerschaften ermöglichen es jeder Schule, Austausch entsprechend ihres Bedarfes zu entwickeln und im Schulalltag, bei projektbezogener Gruppenarbeit oder als individuelles Angebot zu leben. Jede Schule sollte eine Partnerschaft in Europa oder der Welt haben“, sagte Tobias Bütow, Generalsekretär des DFJW und Ko-Sprecher der Initiative „Austausch macht Schule“. „Austausch erhöht nicht nur die Lernwirksamkeit im Klassenzimmer. Er stärkt auch die interkulturelle Kompetenz und das Selbstbewusstsein junger Menschen in einer komplexen Welt.“

Damit Schulen Partnerschaften und Begegnungen gestalten können, brauchen sie organisatorische und finanzielle Unterstützung.

Auch die Träger der Jugendarbeit leisten hier Großartiges – und sie sind ebenso auf strukturelle Stärkung und institutionelle Förderungen angewiesen. Zusammen bieten Schule und Jugendarbeit vielfältige Angebote für eine Austauscherfahrung. Gemeinsam können sie noch mehr Jugendliche erreichen.

Beruflichen Austausch ausbauen

Am zweiten Tag stand konkret das Thema Bildungsgerechtigkeit auf dem Programm: Wie können in Zukunft besonders die Bildungsbereiche abseits des gymnasialen Bildungsweges gefördert werden? Wie gelingen Austauscherfahrungen im Rahmen der beruflichen Bildung?
Die Abgeordneten – einige von ihnen sind selbst Lehrkräfte oder waren in der Schule tätig – konnten am zweiten Tag dieser Reise viele Eindrücke direkt aus der Praxis gewinnen.

So berichteten Schüler:innen in der Prager Berufsschule Drtinova über ihre Praktika in Deutschland. Kurzzeitaufenthalte wie diese Freiwilligen Beruflichen Praktika werden vom Koordinierungszentrum Deutsch-Tschechischer Jugendaustausch Tandem  angeboten und begleitet. Der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds und das Programm Erasmus+ unterstützen dabei finanziell.

Gespräch mit Schüler:innen der Berufsschule Drtinova Prag - Informationsreise „Herz, Hand und Kopf" 2024

„Mit unserem Programm für Auszubildende bieten wir auch eine Inspiration für Politiker:innen, wie Berufsschüler:innen der Weg ins Nachbarland eröffnet werden kann und welche Herausforderungen noch bestehen. Es richtet sich an alle mit Interesse am Austausch, unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten“, sagte Kathrin Freier-Maldoner, Leiterin von Tandem in Deutschland.

Tomáš Botlík, Koordinator der Auslandskooperationen an der Berufsschule Drtinova, sagte:

„Die Schüler:innen gewinnen, selbst wenn diese Praktika nur kurz sind, viel mehr Selbstvertrauen. Sie werden sich über ihre beruflichen Interessen klarer. Natürlich erweitern sie auch ihre Sprachkenntnisse, aber das ist nur ein Teil der wichtigen Erfahrungen."

In einer angeregten Debatte diskutierten die Abgeordneten u.a. die Frage, wie auch kleinere Ausbildungsbetriebe von den Vorteilen solcher Auslandsaufenthalte überzeugt werden können, damit sie Auszubildende für eine Teilnahme freistellen. Dies ist immer noch eine der größten Herausforderungen. Nicht zuletzt aber stehen auch Politik und Verwaltung vor der Aufgabe, Informationen über Austauschprogramme und deren Finanzierung mehr Jugendlichen als bisher zugänglich zu machen.

Gespräch mit Schüler:innen der Berufsschule Drtinova Prag - Informationsreise „Herz. Hand, Kopf“ 2024

„Wir müssen berufliche Bildung attraktiver machen. Dazu kann auch ein Praktikum, ein Angebot im internationalen Austausch beitragen. In einer grenznahen Region ist das für junge Leute auch die niedrigschwellige Möglichkeit zu einer internationalen Begegnung. Damit erreichen wir auch Jugendliche aus ökonomisch schwächeren Familien“, sagte Christine Streichert-Clivot.

Bei einem Besuch in der Deutschen Botschaft Prag sprachen die Politiker:innen anschließend mit Botschafter Andreas Künne über die deutsch-tschechischen Beziehungen in Geschichte und Gegenwart. Künne forderte die Gäste auf, Tschechien mehr Aufmerksamkeit zu schenken und den Austausch mit diesem Land im Herzen Europas zu suchen.

„Tschechien ist Nachbarland, Schlüsselland in Mittelosteuropa und für den Jugendaustausch mehr als naheliegend. Es ist wunderbar zu sehen, wie der deutsch-tschechische Jugendaustausch Impulsgeber zur Weiterentwicklung der internationalen Jugendarbeit sein kann“, so Kathrin Freier-Maldoner.

Erinnerung und Versöhnung im Austausch

Besuch der Gedenkstätte Lidice - Informationsreise „Herz, Hand und Kopf" 2024

Zum Nachdenken über das Lernen an Erinnerungsorten bei Austauschbegegnungen regte am dritten Tag der Besuch der Gedenkstätte Lidice an.

Nach einem Gang über das Gelände mit dem Direktor Dr. Eduard Stehlík wurde in einer Gesprächsrunde diskutiert, wie Politische Bildung an Gedenkorten, Demokratieerziehung und internationaler Jugendaustausch zusammengeführt und angeregt werden können.

Auch knapp 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges leisten Begegnungen junger Menschen aus verschiedenen Ländern beim Jugend- und Schulaustausch einen wichtigen Beitrag für Frieden und internationale Versöhnung. Bernd Böttcher, Projektkoordinator von „Austausch macht Schule“, forderte dazu auf, dieses Potential mehr zu nutzen:

„Gerade in Zeiten, da wir heute europaweit gesellschaftliche Umbrüche feststellen müssen, sollten wir mit Jugendaustauschen die Grundlagen für ein friedliches Miteinander auch künftiger Generationen legen: Junge Menschen, die Freunde in anderen Ländern gefunden haben, sind weniger anfällig für Fremdenhass, Ausgrenzung und Extremismus. An Gedenkorten treffen ihre unterschiedlichen Perspektiven und Eindrücke aufeinander. Wo, wenn nicht hier, erhalten sie Anstöße für den respektvollen und fairen Umgang miteinander?"

Die Einblicke in die pädagogische Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Fachkräften zeigten: Gedenkorte sind ein sinnvoller Bezugspunkt für einen internationalen Austausch – sei es als Ergänzung zum schulischen Lernen oder zur Jugendarbeit. Im Bildungssystem müssten die Möglichkeiten solcher Begegnungen einen festen Platz haben.

Wie das gelingen kann, stellten Knut Möller (AJA – Arbeitskreis gemeinnützigen Jugendaustausch) und Rita Stegen (Leiterin Internat. Bildungskooperationen des PI München) in einem gemeinsamen Projekt vor: Schüler:innen aus München und Austauschschüler:innen aus ganz Deutschland reisen an einen Gedenkort in Polen und treffen sich dort mit polnischen Schüler:innen.

„Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust erhält mit einer solchen Austauschbegegnung eine neue Dimension", sagte Knut Möller. „Gleichzeitig ist es wichtig, bei der Auseinandersetzung mit der Geschichte auch immer einen Bezug zur Gegenwart und zur Lebenswirklichkeit der Jugendlichen herzustellen“, ergänzte Rita Stegen.

Herz, Hand und Kopf

Herz, Hand und Kopf - Internationale Verständigung durch Jugend- und Schüleraustausch

Mit dieser Informationsreise setzen die Organisatoren ihre Veranstaltungsreihe „Herz, Hand. Kopf – Internationale Verständigung durch Jugend- und Schüleraustausch“ fort.

Ziel der Veranstaltungen ist es, einen fraktions-, ressort- und länderübergreifenden Dialog zwischen politischen Entscheider:innen, zivilgesellschaftlichen Akteuren und Teilnehmenden am internationalen Austausch zu ermöglichen.

Früheren Informationsreisen gingen 2019 und 2022 nach Nizza. Zwischen diesen Auslandsreisen fanden Konferenzen und Veranstaltungen in Deutschland statt. 2023 wurde auf einem Bildungspolitischen Arbeitstreffen die sog. Berliner Erklärung von Abgeordneten verschiedener deutscher Landtage verabschiedet.

Die Informationsreise 2024 nach Prag wurde gefördert durch die Stiftung Mercator.

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