Das Feld des Internationalen Schüler- und Jugendaustausches

Überblick

von Gottfried Böttger

Entwicklungslinien

Für internationale Begegnungs- und Austauschprogramme gibt es im Jugend- und Schulbereich keine einheitlichen Strukturen. Der entscheidende Grund dafür liegt im föderalen System der Bundesrepublik, in dem die Zuständigkeit für die Schulen bei den Ländern liegt, die für die Jugendpolitik jedoch beim Bund. Allerdings ist auch bei den 16 Ländern die Zuständigkeit in der Regel auf verschiedene Ministerien verteilt (Kultus-, Jugend-, Sozialministerien). Auf kommunaler Ebene setzt sich diese verzweigte Kompetenzverteilung fort.

Internationale Begegnungsprogramme in beiden Bereichen sind ohne staatliche Förderung undenkbar, auch wenn sich private Stiftungen für den Jugend- und Schüleraustausch engagieren. Die von den Zuschussgebern formulierten Ziele haben sich, abhängig von historischen Entwicklungen und kurzfristigen Veränderungen der politischen Agenda, deutlich gewandelt.

So stand in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg das Thema „Völkerverständigung“ im Vordergrund. Dieses Bemühen um Aussöhnung mit den ehemaligen Kriegsgegnern und den Opfern der nationalsozialistischen Herrschaft mündete dann für ausgewählte Staaten in die Gründung von Austauschorganisationen: des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) (1963), des Deutsch-Polnischen Jugendwerks (DPJW) (1991), des Koordinierungszentrums Deutsch-Tschechischer Jugendaustausch Tandem (1997) und des Koordinierungszentrums Deutsch-Israelischer Jugendaustausch ConAct (2001).

Später wurden weitere Organisationen für den bilateralen Austausch gegründet: UK German Connection (2005), Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch (DRJA) (2006), die Deutsch-Türkische Jugendbrücke (DTJB) (2014) und das Deutsch-Griechische Jugendwerk (2020). Bereits 1993 haben sich die gemeinnützigen Organisationen des individuellen Schüleraustausches im Dachverband AJA – Arbeitskreis gemeinnütziger Jugendaustausch zusammengeschlossen.

Akteure im gemeinnützigen Schüler- und Jugendaustausch
Akteure im gemeinnützigen Schüler- und Jugendaustausch

 

 

 

Für die europäischen Bildungsprogramme, die seit 2014 für alle Bereiche (Schule, Hochschule, Jugend, Berufs- und Erwachsenenbildung) unter dem Namen Erasmus+ firmieren, stand lange Zeit die Entwicklung von Beschäftigungsfähigkeit (employability) und damit die Stärkung des europäischen Wirtschaftsraums im Vordergrund. In der seit 2021 laufenden siebenjährigen Programmgeneration rücken gesellschaftliche und politische Ziele deutlich in den Vordergrund: Inklusion und Vielfalt, digitaler Wandel, Umweltschutz und Bekämpfung des Klimawandels, politische Bildung und Teilhabe am demokratischen Leben.

Das Auswärtige Amt (AA) fördert internationale Austauschprogramme im Rahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (AKBP). Hier ist in den letzten Jahren, etwa mit dem Programm „Schulen – Partner der Zukunft“ (PASCH), eine Zielsetzung entwickelt worden, mit der neben einer ideellen Komponente auch die wirtschaftliche Entwicklung in den Blick genommen wird.

Das Entwicklungspolitische Schulaustauschprogramm (ENSA) ist eine Abteilung von Engagement Global. Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und fördert und begleitet es seit 2005 Schulpartnerschaften finanziell und methodisch.

Für alle Programme ist von herausragender Bedeutung, dass sie pädagogisch begleitet werden. Dies schließt auch eine fundierte Vor- und Nachbereitung ein, wie sie etwa bei gemeinnützigen Austauschorganisationen Standard ist.

Betrachtet man die Inhalte und Methoden des Jugend- und Schüleraustauschs, ist festzustellen, dass in den Anfangsjahren der Bundesrepublik das Rückgrat der Programme, wie oben beschrieben, gegenseitiges Verstehen im Sinne des Abtragens einer historischen Schuld und der Öffnung in eine gemeinsame Zukunft waren. Im Verlauf der 80er Jahre setzte dann ein Wandel zum interkulturellen Lernen als wesentlichem Inhalt ein. Dabei ging häufig der Kern der Programme verloren. In den vergangenen Jahren hat eine Rückbesinnung auf die ursprüngliche Idee eingesetzt, die z.B. mit dem Begriff der „internationalen Reflexivität“ (Andreas Thimmel) beschrieben wird.

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist eine Situation entstanden, die auch den Jugend- und Schüleraustausch betrifft und Begegnungen zwischen bestimmten Ländern nahezu unmöglich macht. Manche aus der Szene vermuten, die Annahme, Jugendbegegnungen leisteten einen wichtigen Beitrag zur Völkerverständigung, sei zu optimistisch oder naiv. Kritische Reflexion ist sicher angebracht, doch sprechen viele positive und ermutigende Beispiele gegen eine solche Fundamentalkritik.

Die Möglichkeiten des historischpolitischen Lernens in internationalen Begegnungen
sollten deshalb auch in Zukunft gefördert und zielgerichtet ausgebaut werden.

Formate

Was ist mit internationalem Jugend- und Schüleraustausch konkret gemeint?
Die nachfolgende Abbildung führt beispielhaft in die vorhandenen Formate ein und differenziert nach schulischem und außerschulischem Kontext sowie der Gruppen- und Individualbegegnung. Allen Formaten gemein sind der Austauschcharakter – also eine Hin- und Rückbegegnung – sowie die pädagogische Begleitung. Damit grenzt sich der internationale Jugend- und Schüleraustausch konzeptionell von beispielsweise Au-Pair, Work & Travel, einem Auslandsstudium oder einer touristischen Auslandsklassenfahrt ab.

 

 Abb.: Formate-Klassifikation aus der Studie „Warum nicht? Studie zum Internationalen Jugendaustausch: Zugänge und Barrieren“ (Becker/Thimmel 2019, S. 22)

Dieser Text ist dem Dossier „Herz, Hand und Kopf – Internationale Verständigung durch Schüler- und Jugendaustausch" (Austausch macht Schule und Deutsches Youth for Understanding Komitee e.V., 2022) entnommen.

Veröffentlicht am: 01.01.2023