Wie gelingt internationaler Austausch auch an Mittel-, Real- und Förderschulen?

Lea Sedlmayr ist Bildungsreferentin beim Bayerischen Jugendring und betreut seit 2021 das besondere Förderprogramm für internationalen Austausch an Real-, Mittel- und Förderschulen in Bayern. Finanziert durch die Stiftung Jugendaustausch Bayern, hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, Lehrkräfte und Schulen umfassend zu unterstützen – von der ersten Idee bis zur Antragstellung und Umsetzung. Im Interview spricht sie darüber, warum internationale Austauschprojekte auch an nicht-gymnasialen Schularten unverzichtbar sind, wie sich die Nachfrage in den letzten Jahren entwickelt hat und wieso dieses Programm auch Vorbild für andere Bundesländer sein könnte.
Wie fügt sich das Förderprogramm für internationalen Austausch in die bisherigen Angebote ein?
Lea Sedlmayr: In Bayern gibt es bereits viele etablierte Formate – aber sie erreichen häufig vor allem Gymnasien. Unser Programm setzt gezielt dort an, wo es wenig Austauschpraxis gibt. Es ergänzt also bestehende Strukturen und füllt eine wichtige Lücke. Es wurde auf politischen Impuls hin geschaffen und bietet heute handfeste Unterstützung für Lehrkräfte, die sich bislang allein gelassen gefühlt haben.
Was waren die Ziele zum Start – und was konnte bislang erreicht werden?
Am Anfang ging es vor allem darum, Schulen mit wenig Erfahrung im internationalen Austausch abzuholen und zu ermutigen. Inzwischen sehen wir, dass die Nachfrage stetig wächst – auch bei Förderschulen und Berufsschulen. Das zeigt, wie groß das Interesse ist, wenn die Hürden niedrig sind. Wir haben schon viele Schulen begleitet, für die es das erste Austauschprojekt überhaupt war.
Welche Rückmeldungen bekommt ihr aus den Schulen?
Sehr positive! Viele berichten, dass das Projekt eine enorme Wirkung auf die Schüler:innen hatte. Es sind oft Erlebnisse, die noch lange nachwirken – sowohl fachlich als auch persönlich. Und auch das Kollegium profitiert: Lehrkräfte entdecken neue Perspektiven, Kollegien rücken zusammen, Schulen entwickeln sich weiter. Eine Lehrkraft hat mal gesagt: „Ich wusste gar nicht, wie sehr sich unsere Schule verändern kann, bis wir dieses Projekt gemacht haben.“
Und was nehmen die Jugendlichen mit?
Die Schüler:innen wachsen über sich hinaus. Sie entwickeln Selbstvertrauen, lernen andere Lebensrealitäten kennen, reflektieren ihre eigene Rolle. Für viele ist es die erste Auslandsreise – und damit ein Schlüsselerlebnis. Ein Schüler hat nach dem Projekt gesagt: „Ich habe das erste Mal das Gefühl gehabt, dass ich was kann.“ Das sind Momente, die bleiben.
Wie verändert Euer Programm die Situation von Mittel-, Real- und Förderschulen?
Durch das Programm können wir beim BJR auf jeden Fall beobachten, dass die Anfragen von diesen Schularten sehr zugenommen haben. Für viele Schulen kam es früher überhaupt nicht infrage, einen internationalen Austausch zu machen. Jetzt erfahren sie, dass das (immer schon) auch für sie möglich war. Auch aus Regionen, wo es bislang kaum einen internationalen Schulaustausch gab bekommen wir jetzt plötzlich Anfragen und Anträge. Besonders Förderschulen holen gerade auf, was mich sehr freut. Hier sehen wir ein riesiges Potenzial. Wichtig ist aber: Viele dieser Schulen brauchen mehr Begleitung, weil ihnen die Routine fehlt. Deshalb ist individuelle Beratung ein zentraler Baustein unseres Programms.
Wie kam es dazu, dass es jetzt sogar Fortbildungen für Lehrkräfte dieser Schularten gibt?
Ich biete verschiedene Fortbildungs-, Vernetzungs- und Informatiosnformate für Lehrkräfte nicht-gymnasialer Schularten an. Dieses Jahr haben wir in Zusammenarbeit mit der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung in Dillingen (ALP) sowie dem Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS), dem Pädagogischen Institut München und der Stiftung Jugendaustausch Bayern einen Lehrgang an der ALP speziell für Schulaustausch an Mittelschulen entwickelt.
Das war ein großer Meilenstein: Die Nachfrage war enorm – die Fortbildungen waren sofort ausgebucht. Das zeigt: Wenn es passende Angebote gibt, werden sie genutzt. Lehrkräfte wollen Austausch – sie brauchen nur die richtigen Rahmenbedingungen.
Welche Hürden gibt es bei der Umsetzung?
Ganz klar: fehlende Erfahrung, fehlende Zeit, Unsicherheiten im Kollegium. Viele wissen nicht, wie man ein Austauschprojekt angeht. Deshalb übernehmen wir viel: Wir beraten bei der Antragstellung, bei der Partnersuche, bei der Organisation vor Ort. Wir haben sogar Beispielprojekte mitgebracht, damit die Schulen eine Vorstellung bekommen.
Auch die Überzeugungsarbeit in der Schulleitung ist oft wichtig: Es geht nicht um Luxusreisen, sondern um Bildungsarbeit.
Wir merken: Alles braucht Zeit, vor allem das Anstoßen von Ideen zu einem Schulaustausch. Nach den ersten Jahren ist dieses Programm nun bekannter geworden und wird angenommen. Viele Lehrerinnen und Lehrer finden jetzt erst zu uns. Ein Programm wie dieses muss über längere Zeit laufen, damit ein Schulaustausch an Mittel-, Real- und Förderschulen normaler, selbstverständlicher wird als bisher.
Wie ist die Zusammenarbeit mit der Stiftung Jugendaustausch Bayern und anderen Akteuren?
Die Zusammenarbeit mit den anderen Akteuren in Bayern ist sehr eng und unterstützend. Dafür haben wir in Bayern auch den Runden Tisch Schulaustausch ins Leben gerufen. Auch mit dem Kultusministerium gibt es einen sehr guten Austausch. Der politische Rückhalt ist vor allem durch die Gründung der Stiftung Jugendaustausch Bayern spürbar geworden, so dass wir zusätzliche Finanzmittel für die unterrepräsentierten Zielgruppen zur Verfügung haben. Der politische Rückhalt – zum Beispiel durch die Grünen im Landtag oder den Landtagsbeschluss von 2020 – war entscheidend, um das Thema auf die Agenda zu setzen und das Programm zu starten.
Was müsste passieren, damit das Programm langfristig wirkt und verstetigt wird?
Es braucht vor allem längerfristige stabile personelle Ressourcen und Förderprogramme. Lehrkräfte brauchen Ansprechpersonen, die erreichbar sind und helfen, wenn es klemmt. Zudem sollten Austauschformate fest in der Schulentwicklung verankert werden – etwa über Qualitätsrahmen oder Zielvereinbarungen. Wenn Austausch als fester Bestandteil der Schulbiografie gedacht wird, wird er auch nachhaltig.
Was sind die nächsten Schritte?
Wir wollen unsere Beratungs- und Fortbildungsangebote ausbauen, neue Formate entwickeln – etwa für Peer-Begleitung oder Schulnetzwerke. Auch die Zusammenarbeit mit kommunalen Akteuren, z. B. mit Bildungsregionen oder Jugendämtern, möchten wir stärken. Ziel ist ein stabiles Unterstützungsnetz für jede Schule, die sich auf den Weg machen möchte.
Kann das bayerische Modell ein Vorbild für andere Bundesländer sein?
Absolut. Andere Länder fragen schon nach. Entscheidend sind: gezielte Förderung für bisher unterrepräsentierte Schularten, gute Beratung, verlässliche Strukturen – und nicht zuletzt der politische Wille. Bayern hat da mutig vorgelegt. Ich würde mich freuen, wenn weitere Bundesländer diesen Weg ebenfalls gehen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ruth Rothermundt.
