„Jede Begegnung sollte mit Sprachanimation arbeiten“

Nachgefragt bei
Rita Loumites
Sprachanimation

Rita Loumites ist Sprachanimateurin. Im Interview erklärt sie den Begriff, erzählt aus ihrem Arbeitsalltag sowie von den Entwicklungen und Möglichkeiten einer inklusiven Sprachanimation. Und sie hat auch ein paar Tipps auf Lager, wie Lehrkräfte bei einem Schüleraustausch selbst eine kleine Sprachanimation gestalten können. 

Frau Loumites, Sie sind Sprachanimateurin. Wie erklären Sie Ihren Beruf jemandem, der noch nie davon gehört hat?

Rita Loumites

Sprachanimateur*innen nutzen gezielt die Sprache als Mittel zur Kommunikation und schaffen durch verschiedene Spiele und Aktivitäten Situationen, in denen die Teilnehmenden aufgefordert werden, aktiv die Sprache des Partners aus dem fremden Kulturkreis zu nutzen, um mit ihm zu kommunizieren. Die Teilnehmenden merken dabei: Auch wenn sie die Partnersprache nicht (perfekt) sprechen, so werden Sprachbarrieren abgebaut und die Teilnehmenden kommen durch die Anwendung von gelernten Worten und Sätzen miteinander in Kontakt.

Dieses Erlebnis motiviert letztlich, anschließend systematisch eine Fremdsprache erlernen zu wollen, sich dadurch einem fremden Kulturkreis mehr zu öffnen, besser kommunizieren und verstehen zu können und sich somit als soziales Wesen gemeinsam mit anderen weiterzuentwickeln.  

Wie beeinflusst der Einsatz von Sprachanimation einen Austausch junger Menschen konkret?

Ich kann das vielleicht an einem Jugendaustausch erklären, der bisher zweimal stattgefunden hat:

Beim ersten Mal haben wir komplett ohne Sprachanimation gearbeitet. Auch bei der zweiten Durchführung wurde Sprachanimation nur zurückhaltend eingesetzt – also mit pädagogischen Gruppenspielen, Aufwärmübungen und Energizern gearbeitet –, auch nur 20 Minuten am Tag statt optimal einer ganzen Stunde. Trotzdem wurde bei der zweiten Begegnung deutlich:

  • es entstand eine gemeinsame Gruppendynamik,
  • wir konnten beobachten, dass sich die Persönlichkeit der Teilnehmenden stärker entwickelte, sie mehr lernten und dem Partner gegenüber aufgeschlossener waren,
  • die Teilnehmenden haben besser zusammengearbeitet. Gerade bei sensiblen Projekten, die sich zum Beispiel mit Vergangenheitsbewältigung auseinandersetzen, entsteht durch besseres Verständnis auch mehr Vertrauen und dadurch eine gelungenere Zusammenarbeit am Projekt.

Wie verbreitet ist die Sprachanimation in verschiedenen Ländern und Sprachen?

Sprachanimation verbindet junge Menschen

Das Konzept der Sprachanimation wurde Anfang der 1990er Jahre vom Deutsch-Französischen Jugendwerk entwickelt. Im deutsch-französischen, deutsch-polnischen, deutsch-russischen und deutsch-tschechischen Kontext hat sich die Sprachanimation über die Jahre etabliert und wird bereits in vielen Jugendaustauschprojekten angewandt.

Auch wenn die Sprachanimation im Austausch mit anderen Ländern noch nicht so verbreitet ist:  Meiner Meinung nach sollte jede Jugendbegegnung mit Sprachanimation arbeiten. Gut wäre jeden Tag eine Einheit – bewährt hat sich hier so ca. eine Stunde –  Sprachanimation.  Zudem können die Sprachanimateur*innen grundsätzlich die Gruppe ständig begleiten, sozusagen auch nebenbei, bei den Aktivitäten direkt aber auch insbesondere indirekt helfen, indem sie auch zwischendurch zum Beispiel sogenannte Energizer durchführen.

Alternativ sollten die Teamer*innen einer Begegnung die Methode der Sprachanimation kennen und beherrschen, um sie über den gesamten Tag und die gesamte Begegnung immer mal wieder einfließen zu lassen und um auch andere Programmbestandteile kritisch unter die Lupe nehmen zu können, was die Präsenz und die Vermittlung der Partnersprachen betrifft.

Aber nicht nur Jugendbegegnungen, sondern jegliche interkulturelle Begegnungen, Konferenzen, Fachtagungen etc. sollten ein bis zwei Methoden der Sprachanimation durchführen, um die Atmosphäre aufzulockern, aber auch Einblicke in die andere Kultur und Sprache zu verschaffen.

Nicht bei jedem Projekt besteht die Möglichkeit, sich Profis hinzuzuholen. Gibt es vielleicht eine Methode in der Sprachanimation, die auch Anfänger*innen mal ausprobieren können und die in möglichst vielen Sprachen funktioniert?

Ballonspiel auf der Konferenz „Es war einmal. heute – Jugend im Fokus der deutsch-griechischen Beziehungen“

Ja, es gibt viele Aufwärmspiele und Energizer, die man ganz leicht in andere Sprachen übertragen und auch ohne Ausbildung mit den Jugendlichen anwenden kann. Etwa folgende zwei Beispiele aus der deutsch-griechischen Sprachanimation und eine ganze Sammlung von Spielanleitungen:

Spiel 1: Ballonspiel

 

Zur Vorstellungsrunde, Namen lernen, Energizer, Abbau von Hemmungen. Dauer: 10-15 min.

Materialien: Luftballons, Textmarker, Musikplayer

Alle Teilnehmenden stehen in einem Kreis. Jede*r bekommt einen Luftballon, pustet ihn auf und schreibt seinen*ihren Vornamen auf den Ballon. Teilnehmende mit einer fremden Schrift schreiben ihren Namen in beiden Alphabeten auf. Nun stellt sich jede*r der Reihe nach vor. Musik ertönt und alle werfen die Ballons in die Luft. Die Gruppe versucht, alle Ballons in der Luft zu halten. Sobald die Musik verstummt, fängt jede*r einen Ballon und sucht die Person, dessen Namen auf dem gefangenen Ballon steht, indem er oder sie andere Teilnehmende zum Beispiel fragt: „Peter?“ Ist die richtige Person gefunden, erhält sie den Ballon. Sobald alle ihren Ballon haben, ertönt wieder Musik und die Aktion beginnt von vorn.

In einer fortgeschrittenen Version kann den Teilnehmenden auch in der jeweiligen Partnersprache die Frage „Bist du…?“ und die Antwortmöglichkeiten „Ja“ und „Nein“ beigebracht werden, so dass sie diese Elemente beim Suchen der Balloninhaber*innen nutzen können.

Spiel 2: „Wie geht´s? – Τι κάνεις; [Ti kanis?]“

 

Als Aufwärmspiel, Abbau von Hemmungen und zum Erlernen einiger elementarer Sätze geeignet. Dauer 10-15 min.

Auf einer Tafel bzw. einem großem Blatt Papier steht für alle sichtbar in Griechisch und Deutsch:

Wie geht’s?   -  Τι κάνεις; / Ti kánis? 

Gut               -    Καλά / Kalá

Geht so        -    Έτσι κι έτσι / Étsi ki étsi

Schlecht       -    Χάλια / Chália

Die Sätze werden jeweils in Deutsch und in Griechisch von dem*der Sprachanimateur*in laut vorgelesen und von der gesamten Gruppen einige Male wiederholt.

Die Gruppe sitzt in einem geschlossenen Stuhlkreis. Eine Person steht in der Mitte des Kreises (in der ersten Runde gern der*die Sprachanimateur*in). Die Person in der Mitte geht zu jemandem hin und stellt in ihrer Fremdsprache die Frage „Wie geht’s? / Tί κάνεις;“. Wenn die Person (in ihrer jeweiligen Fremdsprache) antwortet „Gut / Καλά", geschieht nichts. Wenn die Person antwortet „Geht so / Έτσι κι έτσι", tauschen die Nachbar*innen rechts und links von der befragten Person die Plätze und die Person in der Mitte versucht einen Platz zu ergattern. Ist die Antwort „Schlecht / Χάλια", stehen alle auf und tauschen die Plätze. Die Person in der Mitte versucht, einen Platz einzunehmen. Die Person, die keinen Sitzplatz findet (ein Stuhl fehlt), führt das Spiel weiter.

 

Was muss ich mitbringen, um Sprachanimateur*in zu werden, bzw. um eine Sprachanimation durchzuführen?

    Sprachanimation

    Optimal ist es natürlich, wenn die Sprachanimateur*innen die jeweiligen Partnersprachen ebenfalls sprechen oder zumindest verstehen. Die Durchführung einer Methode sollte immer in allen Partnersprachen erfolgen.

    Im Idealfall arbeiten Sprachanimateur*innen im Team, so dass jede*r eine der Partnersprachen nutzt, oder aber anwesende Sprachmittelnde unterstützen den Prozess. Sprechen Sprachanimateur*innen in bilateralen Begegnungen beide Partnersprachen, so können die Methoden durchaus auch von nur einer Person angeleitet werden. Alles, also jede Spielerklärung und Anweisung, wird erst in der einen Sprache und dann in der anderen Sprache gesagt.

    Es gibt beim Deutsch-Französischen Jugendwerk, dem Deutsch-Polnischen Jugendwerk, bei TANDEM, dem Koordinierungszentrum Deutsch-Tschechischer Jugendaustausch und bei der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch Möglichkeiten, zertifizierte Aus- und Fortbildung in Form von Seminaren oder mehrtägigen Schulungen wahrzunehmen.

    Im Rahmen der Methodenentwicklung für die deutsch-griechische Sprachanimation sind wir in einer AG nun dabei, vorerst selbst dieses Methodenbuch zu entwickeln, um danach Ausbildungs- und Zertifizierungsmöglichkeiten zu schaffen.   

    Wie sieht Ihr Arbeitsalltag als Sprachanimateurin aus?

    Als Sprachanimateurin begleite ich grundsätzlich Jugendbegegnungen, in denen Sprachanimation einen festen Platz einnimmt. Das heißt, man führt etwa eine Stunde am Tag, am besten morgens, Methoden und Spiele der Sprachanimation mit den Jugendlichen durch. Ich kümmere mich natürlich auch um die Rahmenbedingungen: dass ein Gruppenraum zur Verfügung steht, in dem wir Plakate oder sonstiges erarbeitetes Material aufhängen bzw. aufbewahren können, und auch dass Materialien wie Papier, Stifte oder weitere Utensilien für die Methoden vorhanden sind. Vor der Begegnung ist es wichtig, sich gut vorzubereiten und eine genaue Absprache mit dem Partner, mit dem man die Sprachanimation durchführen wird, zu treffen, aber dennoch flexibel während der Durchführung zu bleiben, um sich den entsprechenden Gegebenheiten, Räumlichkeiten, Zielgruppen, einzelnen Personen etc. anpassen zu können.

    Sie erwähnen die Anpassung an einzelne Personen – das führt uns zum Thema Inklusion und Sprachanimation. Auch damit beschäftigen Sie sich. Was darf man sich unter inklusiver Sprachanimation vorstellen?

    Sprachanimation kann in diesem Zusammenhang im engeren oder weiteren Sinne verstanden werden:

    • Im engeren Sinn: Anwendung der Methode des Spracheerwerbs für bessere Kommunikation
    • Im weiteren Sinn: Andere Methodenanwendung für bessere Kommunikation, auch gänzlich ohne Sprache z.B. durch Bewegung, Gestik und Mimik, Musik, Zeichnen etc.

    Das Wort Sprachanimation ist durch die Verwendung des Begriffs Sprache in seiner Bedeutung dahingehend verwirrend, dass es in diesem – weiteren – Sinne nicht ausschließlich um Sprache geht, sondern um das Kommunizieren an sich. Kommunikation findet auch ohne Sprache statt, und hier setzen inklusive Sprachanimationsmethoden ihren Schwerpunkt.

    Mehr zum Thema Inklusion und Sprachanimation in der Broschüre „Sprachanimation – inklusiv gedacht“ von IJAB.

    Wo liegen die Herausforderungen bei der Durchführung von Sprachanimation bei inklusiven Gruppen, worin besteht dabei der Mehrwert?

    Man muss sich stets vergegenwärtigen, dass die Teilnehmenden unterschiedliche körperliche, bildungsbezogene und kulturelle Voraussetzungen/Hintergründe haben, die es gilt, individuell mitzudenken. Manche wollen oder können nicht hüpfen, manche können nicht sehen, haben dafür aber ein ausgeprägtes musikalisches Gehör. Wieder andere scheuen den körperlichen Kontakt, können sich aber mimisch gut ausdrücken. Manche sprechen überhaupt nicht, oder können keine Fremdsprache, wissen sich aber mit Zeichnungen universell mitzuteilen.  

    All diese individuellen Dispositionen zu berücksichtigen ist fast unmöglich. Die individuellen Anforderungen der Teilnehmenden sinnvoll zu antizipieren und soweit es geht zu berücksichtigen, ist jedoch möglich. Dies setzt natürlich voraus, dass man nicht einfach eine Methode pauschal aus dem Lehrbuch übernimmt, sondern je nach Gruppe anpasst.

    Dadurch sind die Methoden der Sprachanimation im weiteren Sinne nicht nur von Sprache unabhängig, sondern sind offen und veränderbar und können an die individuellen Bedürfnisse der inklusiven Gruppe angepasst werden. Ziel ist es nicht, universelle Lösungen anzubieten, sondern zu sensibilisieren und ein Bewusstsein für diese unterschiedlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten der Teilnehmenden zu entwickeln. Der spezifische Mehrwert liegt dann darin, eine Haltung zu entwickeln, die neugierig macht auf die Teilnehmenden, die nicht defizitorientiert ist, sondern Potenziale weckt und die besonderen Fähigkeiten und Stärken der Einzelnen sieht.       

    Sie sind vor allem in der deutsch-griechischen und deutsch-rumänischen Sprachanimation zuhause, beziehungsweise an deren Etablierung mit beteiligt. Wie läuft das?

    Sprachanimation

    Im Zuge der Gründung des Deutsch-Griechischen Jugendwerks und im Rahmen der Weiterentwicklung des deutsch-griechischen Jugend- und Fachkräfteaustausches habe ich zusammen mit einem griechischen Partner die entsprechenden Methoden sowie das Konzept der Sprachanimation auf der Konferenz „Es war einmal. heute – Jugend im Fokus der deutsch-griechischen Beziehungen“ im Mai 2018 in München vorgestellt. Dort haben wir Übungen durchgeführt und im Anschluss einen konstruktiven Austausch angeregt. Wichtig war, dass wir Feedback erhalten haben von denjenigen, die die Sprachanimation später in ihre Austauschprojekte integrieren wollen.

    Vor etwa einem Jahr wurde der Terminus ins Griechische übersetzt, es wurde dafür ein neuer Ausdruck entwickelt: γλωσσική εμψύχωση (glossikí empsýchosi), was wörtlich übersetzt „sprachliche Belebung/Ermutigung“ heißt. Mit der Erstellung des Methodenbuchs zum Thema Deutsch-Griechische Sprachanimation wird ein großer Schritt getan sein, schriftlich diesen Begriff und dieses Konzept vor allem im griechischen Kulturraum einzuführen und die Etablierung des Konzepts zu fördern.  

    Im Rumänischen hingegen gibt es diesen Begriff schon seit einiger Zeit. Er ist zwar nicht sehr bekannt, aber immerhin als Terminus vorhanden. Deutsche Sprachschulen in Rumänien beginnen mit der Anwendung von Sprachanimation zu werben, um sich vom klassischen Fremdsprachenunterricht abzuheben. Mit diesen Sprachschulen zusammenzuarbeiten und Austauschprojekte mit Deutschland durchzuführen, ist unter anderem mein Ziel.

    Doch auch von deutscher Seite her ist Sprachanimation noch längst keine Selbstverständlichkeit, vor allem wenn es sich nicht um eine deutsch-französische Jugendbegegnung handelt. Um persönliche, zwischenmenschliche Kommunikation – gerade im digitalen Zeitalter – weiter zu fördern und somit auf dieses elementare Bedürfnis aller Menschen einzugehen, denke ich, dass mit der Verbreitung von Sprachanimation ein Schritt in diese Richtung getan wird.

    Vielen Dank für das Gespräch!

    Das Interview führte Christine Bertschi

     

    Veröffentlicht am: 24.01.2019