Wie bereichert der deutsch-französische Austausch den Fachunterricht?

Karin Scheichl ist stellvertretende Leiterin des Referats „Schulischer und außerschulischer Austausch“ beim Deutsch-Französischen Jugendwerk (DFJW). Im Gespräch erklärt sie, wie deutsch-französische Begegnungen den Fachunterricht bereichern – und warum ein internationaler Austausch mehr ist, als nur Sprachpraxis.
Haben Sie ein Bild vor Augen, wenn Sie an einen gelungenen deutsch-französischen Schulaustausch im Fachunterricht denken?
Karin Scheichl: Ich denke an das Projekt „Leben, lieben, leiden“: Gemischte, deutsch-französische Gruppen haben mit Playmobilfiguren Fotoromane zur Erinnerungsarbeit erstellt. Die kleinen Figuren – erfundene Verwandte und Freunde – gingen im Elsass und in Baden-Württemberg auf die Suche nach dem Schicksal ihrer Vorfahren im Zweiten Weltkrieg.
Die Schüler:innen haben Gedenkstätten besucht, Fotos gemacht und Geschichten dazu geschrieben. Ich sehe sie richtig vor mir, wie sie gemeinsam Szenarien entwickeln und die Figuren künstlerisch ins Umfeld setzen. ➡️ Ergebnisse ansehen
Ein anderes Beispiel ist das IN-Projekt „Einander sehen, einander verstehen“: 13- bis 14-jährige Schüler:innen betrieben gemeinsam Parasport – „blinde“ und „sehende“ Tandems mussten sich vertrauen, um Hindernisse zu überwinden.
In einer deutsch-französischen Konstellation war das herausfordernd, aber im Sport wunderbar gelungen. ➡️ Mehr zu den IN-Projekten
Warum ist dieses gemeinsame Erleben im Fachunterricht so wertvoll?
Beim Lernen kommen viele andere Kommunikationsmittel zum Zuge als nur Sprache: Körpersprache, künstlerischer Ausdruck, gemeinsames Experimentieren. Diese Aspekte werden im Fachunterricht oft zugunsten von Lesen, Hören und Schreiben vernachlässigt, tragen aber wesentlich zum Verständnis bei.
Außerdem verbindet sich Fachlernen hier mit Erleben. Wenn man gemeinsam ein Ziel erreicht – trotz Sprachbarrieren und interkultureller Unterschiede – ist der Erfolg doppelt schön.
Französisch ist in Deutschland die klassische zweite Fremdsprache – wie entwickelt sich das Interesse, und welche Rolle spielt das DFJW?
Frankreich ist und bleibt ein zentraler Partner für Deutschland – politisch, wirtschaftlich und natürlich auch schulisch. In einer gemeinsamen Strategie zum Erlernen der Partnersprache von 2022 spielen Mobilität und Austausch eine Schlüsselrolle.
Das DFJW vertraut darauf, dass diese Strategie in der Bildungspolitik berücksichtigt wird. Und seit einem Jahr
schlägt sich das in stabilen Lernendenzahlen nieder!
„Die interkulturelle Begegnung junger Menschen ist unser Fokus – der Rest ergibt sich mit guten Pädagog:innen dann von selbst.“
Gleichzeitig bemühen wir uns, Schulleitungen und ganze Kollegien für Austauschprojekte mit Frankreich zu gewinnen. Ideal ist es, wenn auch Klassen teilnehmen, die die Partnersprache noch nicht beherrschen – dann steht die fächerübergreifende Projektarbeit im Vordergrund. Wird dabei Englisch als Brückensprache genutzt, ist das völlig in Ordnung.
Welche Erfahrungen machen Schüler:innen, wenn sie mit Gleichaltrigen aus Frankreich in Kontakt kommen?
Viele sind zunächst zurückhaltend und schüchtern. Doch sobald sie gemeinsam etwas unternehmen, müssen sie sich verständigen – und genau das macht Spaß. Sie merken, dass Sprache ein Werkzeug ist, um miteinander in Kontakt zu treten.
Wie sie das tun – ob auf Französisch, auf Englisch, mit Händen, Füßen oder digitalen Mitteln – ist zweitrangig. Hauptsache, sie erleben, dass Kommunikation gelingt. Dieses Erfolgserlebnis gibt viel Selbstvertrauen und Motivation, weiterzulernen.
Welche Rolle spielen außerschulische Partner in Austauschprojekten?
Nicht selten eine sehr große. Außerschulische Partner bringen neue Perspektiven und Praxisnähe ein – ob in Sport, Kunst, Geschichte oder Umweltbildung. Sie öffnen Lernräume außerhalb des Klassenzimmers, an sogenannten Lieux de mémoire oder an außerschulischen Lernorten „hors les murs“.
Das DFJW-Programm FOKUS fördert gezielt diese Zusammenarbeit zwischen Schulen und Vereinen. So entstehen Projekte, die Lerninhalte und Freizeitaktivitäten verbinden – und auch Schüler:innen mit Lernschwierigkeiten aktiv einbeziehen.
Was ermutigt Lehrkräfte ohne Fremdsprachenfach, einen Austausch zu starten?
Wir glauben, dass viele Lehrer:innen anderer Fächer sich nicht zum internationalen Schulaustausch befugt fühlen. Doch gerade im fächerübergreifenden Tandem – Sprache und Sachfach – bekommen Projekte eine gewisse Tiefe und Vielfalt. Die interkulturelle Komponente gewinnt durch das gemeinsame Arbeiten und Lernen, denn in jedem Land wird anders gelernt.
Wir wollen klarmachen: Jede Lehrkraft „darf“ und kann einen Austausch initiieren, am Anfang vielleicht auch im Team mit der Französisch-Fachkraft.
Lehrkräfte sind wichtige Vorbilder: Wenn sie selbst zeigen, dass Kommunikation auch ohne perfekte Sprachkenntnisse funktioniert, wirkt das auf die Schüler:innen.
Ein niedrigschwelliger Einstieg ist der Entdeckungstag, bei dem Schulklassen deutsch-französische Unternehmen besuchen. So bekommen Jugendliche erste Berufsideen und sehen, warum sich Französischlernen lohnt.
➡️ Zum Entdeckungstag
Wo sehen Sie das größte Potenzial für den deutsch-französischen Austausch im Fachunterricht?
Schulaustausch ist ein entscheidender Bildungsbaustein – aber er sollte sich an Themen orientieren, die Jugendliche wirklich bewegen. Erinnerungsarbeit bleibt wichtig, doch auch Themen wie Umwelt und Nachhaltigkeit, Digitalisierung oder Künstliche Intelligenz bieten großes Potenzial.
Genauso können Musik, Theater oder Sport starke gemeinsame Erlebnisse schaffen. Fachlehrkräfte haben hier besondere Kompetenzen: Sie kennen ihre Schüler:innen gut, arbeiten oft digital und können Projekte auch hybrid gestalten.
Das alles sollten wir nutzen, um Austausch in der schulischen Realität zu verankern.
Ihr Fazit?
Austausch ist kein Zusatz, sondern eine Bereicherung für alle Fächer. Er schafft Lernmomente, die im Gedächtnis bleiben – und stärkt zugleich die Verbindung zwischen Schule, Jugend und Gesellschaft.
„Wenn Jugendliche erleben, dass sie sich verständigen können – über Grenzen hinweg, mit allen Unterschieden – dann verstehen sie, warum Lernen Sinn macht.“