Good Practice

„Keep The Memory Alive“

Max-Windmüller-Gymnasium: Israel 2022

Das Max-Windmüller-Gymnasium in Emden im Ostfriesland pflegt eine Schulpartnerschaft mit der Democratic School in Modi`in in Israel, die weit über Begegnungsreisen hinausgeht. Von den ersten Ideen bis zum Abschluss des ersten Durchlaufs vergingen so sechs Jahre.

Emden hat eine besondere Beziehung zu Israel: 2.500 jüdische Menschen, die aus Konzentrationslagern befreit worden waren und mit dem Schiff namens Exodus 1947 nach Palästina flüchten wollten, waren im Jahr 1947 neun Monate in Emden untergebracht. „Das Thema war tot, kein Mensch hat hier darüber gesprochen“, erinnert sich Kai Gembler, Lehrer am Max-Windmüller-Gymnasium. Bis es im Jahr 2014 ein Theaterstück darüber gab, und eine ältere Dame im Stadtarchiv auf der Suche nach ihren Wurzeln war. Sie wurde in Emden geboren, ihre Eltern gehörten zu den Flüchtlingen auf dem Exodus. Diese ältere Dame hat Kontakt zu einer Historikerin aufgenommen, und diese wiederum hat Kai Gembler davon erzählt. „Und ich dachte mir, so eine verrückte Geschichte, die muss sie meinen Schülerinnen und Schülern erzählen“, so der Lehrer.

Israel 2022. Max-Windmüller-Gymnasium

So nahm alles seinen Lauf. Zwei Jahre später kam nicht mehr nur eine Person aus Israel nach Emden zur Gedenkveranstaltung, sondern 50 Leute, die in Emden Vorfahren hatten oder selbst da waren. „Auch da sind wir mit Schüler:innen mitgefahren, das hat dazu geführt, dass der Bezug zu Israel nochmal stärker wurde“, erklärt Kai Gembler. Einen Schulaustausch mit Israel zu initiieren, lag also nah. „Ich war auch davor schon lange auf der Suche nach einer Partnerschule in Israel, es war aber gar nicht so einfach, eine passende zu finden“, erinnert sich Kai Gembler. Bei Gedenkveranstaltungen in Israel und Emden hat er dann 2017 Kontakte zur Democratic School in Modi`in bekommen.

Begegnung vier Mal verschoben

Ein Antrag im Förderprogramm „JUGEND erinnert“ bei der Stiftung Erinnerung, Verant­wortung und Zukunft (EVZ) wurde gestellt und das Projekt namens „Keep The Memory Alive“ bewilligt. Damit konnte die Projektarbeit so richtig losgehen. Auch ein Treffen mit den Israelis war geplant – die Begegnung musste jedoch wegen der Pandemie insgesamt vier Mal verschoben werden. Mal wegen einer neuen Variante in Israel, die dann wenige Wochen später in Deutschland angekommen ist, dann wieder Lockdown, Reisebeschränkungen… „Am Ende lag der Termin für die Israelis denkbar ungünstig, sie sind mitten in ihren Abschlussprüfungen nach Deutschland gereist“, so Gembler.

Die „Wartezeit“ auf die Begegnung ließen die Projektpartner jedoch nicht ungenutzt verstreichen: Über zwei Jahre tauschten sie sich per Zoom aus: Videokonferenzen zum Kennenlernen, Zeitzeugengespräche, aber auch gemeinschaftliche Aktionen und das Besprechen nächster Projektschritte. „Wir haben versucht, in diesen zwei Jahren verschiedene Ankerpunkte zu finden, zum Beispiel Gedenktage, die für unser Projekt relevant waren“, so Kai Gembler. Bei den Begegnungen in Deutschland und Israel wurden dann nicht nur die digitalen Inhalte besprochen, sondern auch projektbasiert weitergearbeitet – „ein sehr, sehr dichtes Programm war das!“

Abiturergebnisse am Toten Meer

Max-Windmüller-Gymnasium

Auf beiden Seiten nahmen Schüler:innen aus verschiedenen Klassen und Jahrgängen teil. Anfangs waren die deutschen Jugendlichen noch im Jahrgang 9 bis 11, am Ende war eine Schülerin schon mit Abitur in Israel. „Sie hat die Abiturergebnisse am Toten Meer bekommen, das war ziemlich verrückt“, erinnert sich Kai Gembler. Die Gruppe setzte sich aus Jugendlichen zusammen, die sich schon vor Projektbeginn für Erinnerungsarbeit interessiert haben, die Stolpersteine verlegt und geputzt, bei Zeitzeugen-Besuchen mitgewirkt haben oder bei der Exodus Veranstaltung dabei waren.

Der Austausch wurde begleitet von einem jungen Dokumentarfilmer – einem ehemaligen Schüler von Kai Gembler, ebenfalls sehr israelaffin, der heute eine eigene Medienagentur in Emden führt. Am 27.1.2023 fand in Emden die öffentliche Premiere statt, mittlerweile ist auch die Untertitelung auf Hebräisch abgeschlossen und der Film online. Damit sei die Hauptarbeit vorüber: „Die meisten Teilnehmenden sind immer noch aktiv, aber kurz vor dem Abitur und deshalb mit der schulischen Arbeit beschäftigt“, so Kai Gembler.

Vielseitige Austauschaktivitäten

Max-Windmüller-Gymnasium

Das Gymnasium verfügt über eine ganze Reihe von Beziehungen zu Schulen in den USA, der Karibik, der Normandie, zudem Erasmus-Beziehungen mit den Niederlanden, Türkei, Portugal, Norwegen und Martinique, zudem auch Austausche mit Spanien, USA und Kanada. Angefangen habe es mit Frankreich-Austauschen: Eine Lehrerin, mittlerweile in Rente, war in den 1980er und 90er Jahren sehr rege mit ihrer Fachgruppe. „Das hat sich weiterentwickelt, ich selbst bin in den 2000er Jahren reingerutscht. Nach und nach haben sich neue Partnerschaften entwickelt“, so Kai Gembler.

Während an vielen Schulen die Austausch-Begeisterten eher Einzelkämpfer im Kollegium sind, schildert Kai Gembler die Situation an seiner Schule ganz anders: „Jemand fängt an, die Kolleg:innen sehen, dass es spannend ist – und die Begeisterung steckt an.“ An der recht kleinen Schule mit 750 Schüler:innen seien es der Schulleiter und 9 Kolleg:innen, die immer mal wieder unterwegs sind.

Max-Windmüller-Gymnasium

Im Schulprogramm steht der internationale Austausch festgeschrieben, das Max-Windmüller-Gymnasium ist Europaschule und UNESCO-Projektschule. „Die thematische Arbeit ist uns wichtig – ein reiner Schüleraustausch nach dem Prinzip „ich zeig dir mein Leben, du zeigst mir deins“ für sich ist schon spannend, aber verbunden mit einem Projektthema ergibt sich ein viel intensiveres Lernen. Gerade zu unseren Themen Geschichte, Holocaust und der Frage, wie sich die Erinnerungskultur in zukünftigen Generationen fortsetzt, wie das Gedenken am Leben gehalten werden kann“, so Gembler. Er selbst hat „mal ein bisschen Geschichte studiert“, unterrichtet aber Deutsch und Biologie. Entsprechend vielfältig sind auch die Themen seiner Schulaustausche: In einem Erasmus-Projekt wurde Plastikmüll gesammelt, zusammen mit Schüler:innen aus Tschechien und den Niederlanden Bodenproben genommen. „Man lernt dadurch zu anderen Themen, in anderem Zusammenhang. Die Schüler:innen sind darüber sehr glücklich, sie kommen stets mit vielen neuen Eindrücken von den Begegnungen nach Hause“, so Gembler.

Verpflichtung durch Namensgeber

Seit 2015 trägt die Schule den Namen Max-Windmüller-Gymnasium. Zur Namensänderung kam es durch einen Umzug der ganzen Schule. Der alte Name nahm Bezug auf den damaligen Standort und hätte nicht mehr gepasst. „Der neue Name soll keinen Bruch, sondern die Fortführung der Bildungsarbeit unseres Gymnasiums symbolisieren, das sich stets der Erziehung zu Toleranz, Respekt, Demokratie und Solidarität verpflichtet fühlte“, steht dazu auf der Website der Schule. Max Windmüller ist 1920 in Emden geboren, als Sohn einer jüdischen Familie. Er wurde von den Nationalsozialisten verfolgt, floh mit seinen Eltern in die Niederlande und schloss sich dort dem Widerstand an. Etwa 100 junge Jüd:innen konnte er persönlich in die Freiheit schleusen.

Israel 2022. Max-Windmüller-Gymnasium

Auch vor der Namensänderung haben wir schon Zeitzeugen an unsere Schule eingeladen, wir haben eine sehr aktive Kollegin in der deutsch-französischen Freundschaft, die auch im Bereich Holocaust-Aufarbeitung aktiv ist“, erklärt Kai Gembler. Insbesondere ein Austausch mit Warschau, ebenfalls mit starkem Geschichtsbezug, sei hier zu erwähnen. Zusammen mit französischen und polnischen Jugendlichen sind die Schüler:innen aus Emden auch nach Auschwitz gefahren.

Der Israel-Austausch geht nun weiter mit einer neuen Schüler:innen-Gruppe: Für 2024 ist das nächste Treffen angesetzt, noch ist Kai Gembler mit der Finanzierung des Vorhabens beschäftigt. Kernpunkt des Projekts ist, dass für die Familie Windmüller in Emden noch ein letzter Stolperstein verlegt werden soll: „Es handelt sich dabei um einen ganz besonderen Stolperstein, für Moritz Windmüller, der als Kleinkind in Auschwitz ermordet wurde“, so Kai Gembler. Die Israelis werden sich inhaltlich auf ein eigenes Thema konzentrieren, und per Videokonferenzen und bei einer abschließenden Begegnung tauschen sich die Gruppen über ihre Projektarbeit aus.

Ein Beitrag von Christine Bertschi

Veröffentlicht am: 02.05.2023