Mit dem Fahrrad für Verständigung und Träume

Brücken bauen in bewegten Zeiten
Internationale Jugendbegegnungen mit Russland sind in der heutigen politischen Lage kaum mehr möglich. Doch genau hier setzt das Projekt „A Million Dreams… a glimpse of tomorrow“ an – als kreative Antwort auf politische Grenzen und gesetzliche Hürden. Statt mit offiziellen Partnern im repressiven Russland zusammenzuarbeiten, lud die Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch (DRJA) im August 2024 junge Menschen aus dem russischen Exil und aus Deutschland zu einer gemeinsamen Radwanderung entlang der Elbe ein.
Ziel war es, neue Formen des Austauschs zu erproben, politische Bildung erlebbar zu machen – und den Jugendlichen Raum für ihre Träume zu geben.
Im Gespräch mit Philipp Stemmer-Zorn, Geschäftsführer der Stiftung, geht es um die Idee hinter dem Projekt, die besonderen Herausforderungen einer internationalen Jugendbegegnung unter den aktuellen Bedingungen – und um die Kraft, die darin liegt, Begegnung trotz allem möglich zu machen.
Die Idee hinter dem Projekt: Begegnung trotz Exil
„Wir haben uns gefragt: Wie kann Austausch weitergehen, wenn direkte Zusammenarbeit mit Russland nicht mehr möglich ist?“ erklärt Philipp Stemmer-Zorn von der Stiftung DRJA. Die Antwort: Junge Menschen aus dem russischen Exil, die ihr Land vor dem Hintergrund des Krieges verlassen haben, werden als Partner:innen für eine neue Art des Austauschs gesehen – als Brückenbauer:innen für die Zukunft. „Vielleicht können sie in Zukunft die russische Seite der Brücke im Jugendaustausch bilden.“
Das Format: Eine 19-tägige Radwanderung von Dresden nach Hamburg, begleitet von politischen und historischen Impulsen, Gesprächen mit Zeitzeug:innen und Workshops.
Unterwegs sammelten die Teilnehmenden Geschichten rechts und links der ehemaligen innerdeutschen Grenze – zum Thema Hoffnung vor und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.
Gemeinschaft auf zwei Rädern – Austausch mit Rückenwind
Warum ausgerechnet eine Fahrradtour? „Sie hatte ein stark erlebnispädagogisches Moment“, sagt Stemmer-Zorn. „Das gemeinsame Radfahren, Zelten, der Umgang mit Wind und Wetter – all das hat die Gruppe stark zusammengeschweißt.“
Auch inhaltlich brachte die Bewegung auf zwei Rädern Vorteile: „Die Jugendlichen kamen mit Menschen entlang des Weges ins Gespräch, hörten Geschichten und setzten sich mit Geschichte und Gegenwart auseinander – politisch, persönlich und gemeinschaftlich.“
Das Ganze wurde von Anfang bis Ende dokumentiert – auf der von den Jugendlichen selbst gestalteten Website: A Million Dreams... a glimpse of tomorrow. Dort erzählen sie von Begegnungen, Erfahrungen und ihren eigenen Träumen für die Zukunft.
Historische Bildung trifft persönliche Utopien
„Natürlich hatten wir klassische Inhalte wie Museumsbesuche oder eine Stadtführung mit Besuch im ehemaligen Stasi-Gefängnis. Aber mindestens genauso wichtig war die Frage: Was können wir heute hoffen?“ Für die Jugendlichen im Exil war diese Frage besonders zentral – sie diskutierten persönliche und gesellschaftliche Zukunftsentwürfe, sprachen über ihre Erfahrungen mit politischer Repression und entwickelten Visionen. „Diese Träume waren ganz individuell – aber alle zeigten, dass die Jugendlichen gestalten wollen. Dass sie Hoffnung haben.“
Herausforderungen: Visa und Sprache
Die Durchführung war jedoch auch mit zahlreichen Hürden verbunden. Besonders die Visa-Problematik war eine Herausforderung: „Teilweise gab es meterlange E-Mail-Korrespondenzen, um für einzelne Teilnehmende einen Termin bei der Botschaft zu bekommen.“
Sprachlich wurde das Projekt ebenfalls zu einer kleinen Herausforderung – die Verständigung funktionierte mit viel Geduld, Englisch, Russisch und Körpersprache. Dennoch überwog die Erfahrung, dass Begegnung auch über sprachliche Grenzen hinweg gelingt.
Wer war dabei?
Die 34 Teilnehmenden kamen größtenteils aus der russischen Exil-Community – einige mit Vorerfahrungen im Austausch, andere aus reinem Interesse. Auch auf deutscher Seite war die Gruppe bunt gemischt: Schüler:innen mit Russischkenntnissen, junge Erwachsene aus Jugendgruppen und Neugierige, die Lust auf ein außergewöhnliches Projekt hatten.
Die Veranstaltenden entschieden sich trotz des Ungleichgewichts in der Nationalitätenverteilung bewusst dafür, die Begegnung durchzuführen. „Es war vielleicht keine klassische binational ausbalancierte Jugendbegegnung – aber es war definitiv ein interkulturelles Projekt.“
Austausch mit Wirkung – und Ausblick
Dass „A Million Dreams… a glimpse of tomorrow“ mehr war als nur Radfahren, zeigt sich auch an der Wirkung: Die Jugendlichen fanden neue Perspektiven, entwickelten Visionen und wuchsen an ihren Herausforderungen. Gleichzeitig wurde sichtbar: Austausch ist auch in politisch schwierigen Zeiten möglich – wenn man bereit ist, neue Wege zu gehen.
Für künftige Projekte rät Stemmer-Zorn: „Es ist wichtig, den Jugendlichen keine fertigen Erwartungen überzustülpen. Wir müssen ihnen Raum geben, ihre eigenen Fragen zu stellen, ihre eigenen Träume zu formulieren – und sie dann begleiten.“
Die Stiftung DRJA will diesen Weg weitergehen. Im Sommer 2025 findet ein Nachfolgeprojekt in Georgien statt – mit Teilnehmenden aus Deutschland, dem russischen Exil und Georgien. Auch dort wird es um Begegnung gehen, um politische Bildung – und um das gemeinsame Nachdenken über die Zukunft.
Ruth Rothermundt
